«Der Bund», 4.2.11
Fünf Strombriefe in Sachen Netzplatz
«Bitte nicht 'Netzplatz'! Denn wenn einer 'website' oder 'Webseite' sagt oder schreibt, dann weiss ich eigentlich immer sofort, aha, was er oder sie für ein Verständnis vom Internet hat. Und ist es so schlimm, wenn er oder sie wenig bis nichts davon versteht? Hauptsache, sie arbeiten gut damit. Denn wenn jetzt einer von seinem Netzplatz spricht (was es ja auch nicht ist, die website), dann übersetzt er möglicherweise auch gleich zurück in netplace. Und dann haben wir erst recht die Verwirrung. Nein, man muss sich halt dran gewöhnen: alles was aus dem Internet kommt, oder fast alles, ist eben vom Wort oder Begriff her amerikanisch. Und das sollte man jetzt nicht immer gleich übersetzen wollen, sondern einfach sich einverleiben.» (H.B.)
«Deinem Vorschlag, die website 'Netzplatz' zu nennen, schliesse ich mich gerne an, das gefällt. Eine Riesenfreude hatte ich schon an der 'Strompost' für e-mail, ich habe den Ausdruck von Dir gelernt und verwende ihn seither oft – mit überaus positiven Rückmeldungen übrigens. Und schliesslich, ich räume es hier ehrlich ein, gefällt mir auch eine Eindeutschung, die in der deutschen rechtsradikalen Szene ihren Ursprung hat, was ja aber nicht automatisch bedeuten muss, dass man sie deshalb gleich mit einem Tabu belegen müsste. Daselbst wird nämlich das world wide web übersetzt mit 'Weltnetz'». (R.G.)
In diesen beiden Reaktionen persönlicher Bekannter erschöpft sich schon beinahe das Echo auf die letzte «Sprachlupe». Erbeten waren Ersatzvorschläge für Internet-Begriffe, die im deutschen Sprachfluss quer liegen, wie Mail oder Chat. Zwei weitere Briefschreiber spendeten allgemeines Lob ohne eigene Vorschläge, R.S. als fünfter und letzter spendierte – mit Schmunzelzeichen ;-) – «Laatschi-Quaatschi» für «walkie-talkie». Ferner kritisierte er das «Internetz», für das ich mich auch nicht erwärmen konnte, als «halbe Verdeutschung», denn es käme doch «etwas eher Merkwürdiges» heraus, verstünde man «Interlaken» auf die gleiche Weise.
Auch das «Weltnetz», egal welchen Ursprungs, brauche ich nicht. Gut auszusprechen, kommt «Internet» auch deshalb ohne Übersetzung aus, weil es sich um einen Eigennamen handelt. Dagegen sind die Orte, die man dort besuchen kann, und die Mitteilungen, die es transportiert, alltägliche Dinge geworden, für die deutsche Wörter willkommen wären, jedenfalls wenn sie weniger sperrig klängen als die englischen. Als ich bei der allerersten «Sprachlupe» meinen «Netzplatz» so nannte, gabs eine einzige Reaktion, und die war kritisch – das sei doch eine blosse Übersetzung statt etwas Neues. Zugegeben, lieber H.B.: Will ich auf Anhieb verstanden werden, sage und schreibe ich «Website».
«Strompost» verwende ich privat oft, selten einmal nimmt jemand das Wort auf, und R.G. beneide ich um die «überaus positiven Rückmeldungen». Die überaus spärlichen Rückmeldungen auf meinen Aufruf zeigen, dass es hierzulande kaum ein überwältigendes Bedürfnis nach deutschem Ersatz für geläufig gewordenes Internet-Englisch gibt. Lebhafter ist die Debatte in der Zeitschrift «Deutsche Sprachwelt», seit dort jemand «E-Post» vorgeschlagen hat. Ein anderer Leser findet, das sei eine «sklavische Lehnübersetzung» und obendrein «im Deutschen recht sprachwidrig». Zudem müsse man zwischen «Einrichtung und Einzelgegenstand» unterscheiden – der Leser plädiert daher nach skandinavischem Vorbild für «Netzpost» und «Netzbrief».
Damit könnte ich mich gut anfreunden; weit weniger aber mit dem Argument, man könne dann «das Wortfeld oder die Wortsippe gut ausbauen». Statt zu «mailen», solle man nämlich künftig «jemandem etwas netzen». Dieses Wort ist indessen schon besetzt; «briefen» (sprich: brieffen) leider ebenfalls, wenn auch bloss neudeutsch. So wirds dabei bleiben müssen, dass man mir Briefe schickt, egal ob per Strom-, Netz- oder «Die Post».
© Daniel Goldstein