«Der Bund», 3. 11.  2017

Zur Werbemasche passt der Tarnname

Ein Gespenst geht um in den Gazetten, das Gespenst des Native Advertising. Wie es sich für ein rechtes Gespenst gehört, kann man es manchmal sehen und manchmal nicht, und sein Name hat etwas Geheimnisvolles. Das Geheimnis enthüllt sich nicht einmal dann, wenn man den Namen übersetzt. Zwar sind die Bestandteile einfach: «native» heisst eingeboren, «advertising» bedeutet Werbung. Aber was, bitteschön, soll «eingeborene Werbung» sein? Das erschliesst sich auch Englischsprachigen nicht aus der Bezeichnung allein, sondern sogar im günstigsten Fall erst aus der Anschauung.

Da Werber ihr Tun ohnehin gern in englische Wörter kleiden, nehmen sie sich gar nicht erst die Mühe, ihr Lieblingskind der Stunde durch eine deutsche Bezeichnung zu entblössen. Denn die Rätselhaftigkeit hat System: Es geht darum, in Presse- oder Bildschirmmedien interessengesteuerte Texte unterzubringen, ohne dass sie als solche auffallen. Vielmehr sollen sie redaktionellen Artikeln möglichst ähnlich sehen, eben wie eingeboren. Wohlwollend könnte man von urwüchsiger Werbung reden, deutlicher wäre: Werbung im Schafspelz. Schleichwerbung kennen wir schon länger und meinen damit die günstige, aber unauffällige Präsentation in Beiträgen, die von der Redaktion verantwortet werden.

Die Übergänge sind seit langem fliessend, etwa in Gratisanzeigern oder Reise- und anderen Beilagen. So gesehen ist es vielleicht sogar ein Fortschritt, dass heutiges Native Advertising in der Regel gekennzeichnet ist, jedenfalls minimal. Schrift und Aufmachung unterscheiden sich meist mehr oder weniger deutlich vom Rest der Publikation, und kleingedruckt ist fast immer auch ein Hinweis zu finden. Einige Beispiele, bewusst ohne Quellenangabe, da willkürlich und zufällig gesammelt, aber alle aus deutschsprachigen Publikationen: Kundenbeitrag, bezahlter Inhalt, Publireportage, von Commercial Publishing XY in Zusammenarbeit mit YZ erstellt, sponsored – und selten sogar: Anzeige.

Zwei Beispiele aus Online-Medien: Der Presserat als Wächter über die Berufsethik hatte über «präsentiert von» zu befinden und sah von einer Rüge ab, empfahl aber «bezahlt von». Und ein besonders neckischer «sponsored content» riet «Süsses geht immer»; platziert war er bei der Nachricht von der Abwahl des Badener Stadtammanns Geri Müller. Dabei war leicht zu erkennen, dass es sich um Produktwerbung handelte. Ausgefeilteres Native Advertising aber kommt als «journalistisch hochwertig aufbereitete Information» daher, wie ein Werber am Radio rühmte.

In der Tat: Ich habe den Eindruck, dass solche kommerziellen Artikel sorgfältiger redigiert und korrigiert sind als vieles, was unter Spardruck stehende Redaktionen mit ausgedünnten Korrektoraten in Eigenverantwortung ins Blatt setzen. Bei manchen Publikationen wird für Werbebeiträge sogar redaktionelles Personal eingesetzt; da wüsste man gern, ob es für diesen Zweck mehr Zeit pro Zeile aufwenden darf. Die gleiche Frage stellt sich bei den grossen Verlagen, die eigens Abteilungen geschaffen haben, um für Kunden solche Texte zu fabrizieren. Dem NZZ-Verlag, der seine Regionalzeitungen teilweise von Bosnien aus korrigieren lassen will, blüht womöglich, dass ein Kunde befiehlt: «Aber nicht meine Publireportage!»

Zum Thema Korrektur noch eine weitere namentliche Nennung, damit niemand in falschen Verdacht gerät: Eine gepflegte Swisscom-Doppelseite, nur durch andere Schrift gekennzeichnet, stand unter dem grossen Titel «Das gute, alte Telefon». Das ist nicht falsch, bedeutet aber wahrscheinlich nicht das, was gemeint war. Mit Komma geht es um ein Telefon, das sowohl gut als auch alt ist. Wollte der Firmenchef aber dem alten Telefon eine verbale Streicheleinheit verpassen, so wäre «das gute alte Telefon» ohne Komma richtig. Wie: «Wo ist die gute alte Schleichwerbung geblieben?»

© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)